Grenzen der Handlungsfähigkeit einer Stiftung

Abstract

Zum Urteil des Schweizerischen Bundesgerichtes in Sachen «Dieselskandal»

In einer Klage der Stiftung für Konsumentenschutz gegen einen schweizerischen Automobilimporteur und einen deutschen Automobilkonzern hat die I. zivilrechtliche Abteilung des Bundesgerichtes am 16. Juli 2020 ein bemerkenswertes Urteil gefällt (Urteil 4A_43/2020). Die Klägerin hatte sich von rund 6’000 Fahrzeughaltern behauptete Schadenersatzansprüche gegen die Beklagten abtreten lassen, um sie gebündelt als «Sammelklage» geltend zu machen. Das Handelsgericht des Kantons Zürich trat auf die Klage nicht ein, weil die Klageerhebung vom Stiftungszweck der Klägerin nicht gedeckt sei. Das Bundesgericht wies die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Handelsgerichtes ab.

Ausgangslage

Der Rechtsstreit betraf vom Automobilkonzern hergestellte Dieselfahrzeuge, deren Software erkannte, wenn sich das Fahrzeug für eine Abgaskontrolle auf dem Prüfstand befand, und auf einen vom Normalbetrieb abweichenden Modus schaltete, in dem der NOx-Ausstoss reduziert wurde. Im Normalbetrieb war dieser Modus abgeschaltet, so dass der Schadstoffausstoss höher wurde. Die Klägerin machte geltend, dass der Wert der durch den «Diesel­skandal» betroffenen Fahrzeuge nicht dem bezahlten Kaufpreis entspreche, wodurch die Kunden in ihrem Vermögen geschädigt worden seien.

Die Beklagten hielten dem namentlich entgegen, die Klägerin handle als eigentliche Inkassostelle treuhänderisch für die einzelnen Fahrzeughalter. Der Stiftungszweck lasse ein solches Vorgehen bezüglich ausservertraglicher Schadenersatzansprüche nicht zu. Aufgrund des Überschreitens des Stiftungszweckes sei die Klägerin in Bezug auf den Schadenersatz nicht prozessfähig.

Stiftungszweck der Klägerin

Gemäss Art. 3 ihrer Stiftungsurkunde bezweckt die Klägerin die Wahrung der Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten, insbesondere den Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten vor Benachteiligungen (Abs. 1 lit. a) und die Aufklä­rung und Information über Konsumgüter, Dienst­leistungen sowie Rechtslage und Rechte (Abs. 1 lit. c). Zur Erfüllung dieses Zweckes übernimmt die Klägerin gemäss Art. 3 Abs. 2 der Stiftungs­urkunde eine Reihe von Aufgaben, darunter nebst Warenprüfung und Vorschlägen für Qualitäts­bezeichnungen, Warenetikettierungen und Richtlinien namentlich die Untersuchung der Verhältnisse im Werbewesen, Eintreten für wahrheitsgetreue Anpreisungen und Durchsetzung von Garantieansprüchen (Abs. 2 lit. c).

Erwägungen des Handelsgerichtes und des Bundesgerichtes

Umfang und Grenzen der Vertretungsmacht der Stiftungsorgane

Das Bundesgericht erwog eingangs, dass sich die Vertretungsmacht einer Stiftung durch ihre Organe bzw. deren Vertretungsmacht zunächst einmal nach den gleichen Regeln richtet wie bei der Aktiengesellschaft. Danach können die zur Vertretung befugten Personen im Namen der Gesellschaft alle Rechtshandlungen vornehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringen kann. Diese Vorschrift wird zum Schutz gutgläubiger Dritter weit ausgelegt; unter Rechtshandlungen, die der Gesellschaftszweck mit sich bringen kann, sind nicht nur solche zu verstehen, die der Gesellschaft nützlich sind oder in ihrem Betrieb gewöhnlich vorkommen, sondern auch ungewöhnliche Geschäfte, sofern sie auch nur möglicherweise im Gesellschaftszweck begründet sind, d.h. durch diesen nicht geradezu ausgeschlossen sind.

Der Stiftungsrat als Organ der juristischen Person kann sich seinerseits aber nicht gegenüber Dritten auf diesen Verkehrsschutz berufen. Darauf hatte bereits das Handelsgericht hingewiesen. Die weite Auslegung der Vertretungsmacht von Organen dient in erster Linie dem Verkehrsschutz und schützt mithin Dritte, die mit der juristischen Person in eine Rechtsbeziehung treten. Der Gutglaubensschutz dient nicht dazu, das Verhalten der Organe gegenüber der juristischen Person zu rechtfertigen und deren Handlungsfähigkeit nach Belieben auszuweiten.

Die Erwägungen des Handelsgerichts decken sich mit der Auffassung des Bundesgerichts. Dieses sah daher keinen Anlass zur Kritik an der Auffassung des Handelsgerichts, dass der dargelegte Schutzgedanke im Rahmen der aktiven Prozessführung durch die Stiftungsorgane nicht zum Tragen komme. Die Verwaltung der Stiftung geniesst keinen Schutz dafür, vom Willen des Stifters abzuweichen und unter Berufung auf die weite Auslegung des Stiftungszwecks ihre Kompetenzen über dessen Grenzen hinweg zu erweitern.

Auslegung des Stiftungszwecks und Bestimmung der im Rahmen des Zwecks zulässigen Handlungen

Gemäss den Erwägungen des Handelsgerichts definiert der Stiftungszweck die Aufgaben und Ziele der Stiftung. Er ergibt sich aus der Stiftungsurkunde und wird durch den Stifter festgelegt. Die Auslegung des Zwecks erfolgt mit dem Ziel, den Willen des Stifters zu ermitteln. Die Vertretungsmacht des Stiftungsrates ergibt sich aus dem festgelegten Stiftungszweck; dieser bildet zugleich die Schranke der Vertretungsmacht.

Das Handelsgericht erwog sodann, dass zwischen der Auslegung des Zwecks und der Bestimmung der im Rahmen des Zwecks zulässigen Handlungen zu unterscheiden sei. Anders als bei Gesellschaften gibt der Stiftungszweck bzw. die Stiftungsurkunde nicht nur das Ziel, sondern in gewissem Mass auch die Mittel bzw. Aufgaben vor, mit welchen das Ziel erreicht werden soll. Diese Angaben präzisieren und konkretisieren die Aufgaben und damit den Zweck der Stiftung. Die Tätigkeitsangaben in der Zweckbestimmung sind für die Frage, welche Handlungen vom Zweck umfasst sind, zu berücksichtigen.

Auch diese Erwägungen fanden die Zustimmung des Bundesgerichtes. Dieses erwog, das Handelsgericht habe zu Recht darauf hingewiesen, mit der Formulierung des Stiftungszwecks solle sichergestellt werden, dass die Stiftungsorgane das gewidmete Vermögen im Sinn des Stifters verwenden; der ihnen zuzugestehende Spielraum dürfe nicht darauf hinauslaufen, dass sie das Wirken der Stiftung ähnlich einer Gesellschaft bestimmen. Es sei bundesrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz davon ausging, die Auslegung des Stiftungszwecks anhand des Stifterwillens habe relativ eng zu erfolgen, weil nur so sichergestellt werden könne, dass die Stiftungsorgane die zur Verfügung stehenden Mittel nach dem Willen des Stifters einsetzten.

Auslegung des Stiftungszwecks der Klägerin

Der Umstand allein, dass die Klägerin gemäss Stiftungszweck die Wahrung der Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten bezweckt, genügt nach den weiteren Erwägungen des Bundesgerichts nicht, um ihre Prozessfähigkeit zu bejahen. Vielmehr hatte das Handelsgericht zu Recht untersucht, ob die fragliche Prozesshandlung von der nach dem Willen der Stifter ausgelegten Zweckumschreibung erfasst werde. Das Handelsgericht prüfte somit zutreffend, ob und inwiefern der allgemein gehaltene Grundsatz der Wahrung der Interessen der Konsumentinnen und Konsumenten durch die weitere Zweckumschreibung konkretisiert werde. Das Bundesgericht teilte die Erkenntnis des Handelsgerichtes, dass die Stiftung bzw. ihre Organe nicht in jeglichen Bereichen und auf jegliche Art tätig werden können, die auch nur entfernt mit der Wahrung von Konsumenten­interessen zu tun haben könnte.

Das Bundesgericht berücksichtigte des Weiteren, dass in Art. 3 Abs. 1 lit. c der Stiftungsurkunde die Begriffe «Rechtslage und Rechte» einzig im Zusammenhang mit der Aufklärung und Information der Konsumenten erwähnt werden. Bedeutsamer erscheine die Aufgaben­umschreibung in Art. 3 Abs. 2. Das Bundesgericht weist darauf hin, dass dort in lit. c die Durchsetzung von Ansprüchen lediglich eingeschränkt auf Garantieansprüche im Werbewesen erwähnt wird.

Die Klägerin habe eine Schadenersatzklage aus ausservertraglicher Haftung erhoben, mit der Vermögenseinbussen zahlreicher Fahrzeughalter behoben werden sollten. Angesichts der in Art. 3 Abs. 2 lit. c vorgesehenen engen Beschränkung hinsichtlich der Durchsetzung individueller Ansprüche sei die Auffassung der Klägerin nicht haltbar, wonach der Stiftungszweck schlicht jegliches Tätigwerden der Klägerin im «Dieselskandal» umfasse. Das Bundesgericht ging im Gegenteil davon aus, dass angesichts der thematischen Einschränkung auf das Werbewesen und der gegenständlichen Eingrenzung auf vertragliche (Garantie-)Ansprüche die Durchsetzung ausservertraglicher Ansprüche für eine Vielzahl von Geschädigten nach dem Stifterwillen ausgeschlossen sein solle.

Unmassgebliches Verhalten der Stiftungsaufsichtsbehörde

Die Klägerin hatte geltend gemacht, die Stiftungsaufsichtsbehörde sei nicht gegen die Klageerhebung durch die Beschwerdeführerin eingeschritten und habe deren Reglement genehmigt. Das Bundesgericht hielt fest, dass darauf hinsichtlich der Auslegung von Art. 3 der Stiftungsurkunde nichts zugunsten der Klägerin abgeleitet werden könne. Eine konkrete Auslegung dieser Bestimmung durch die Aufsichtsbehörde sei nicht erkennbar; zudem wäre ein allfälliges Verständnis der Aufsichts­behörde für das Zivilgericht im Rahmen der Prüfung der Prozessvoraussetzungen nicht bindend.

Zusammenfassende Würdigung des Bundesgerichtes

Das Bundesgericht kam abschliessend zum Schluss, das Handelsgericht habe kein Bundesrecht verletzt, wenn es gestützt auf die Auslegung der Zweckumschreibung in der Stiftungsurkunde erwogen habe, die Einreichung einer Klage zur gerichtlichen Durchsetzung von Tausenden von Schadenersatzforderungen einzelner Konsumenten aus ausservertraglicher Haftung sei vom konkreten Stiftungszweck nicht umfasst. Es sei zudem zutreffend davon ausgegangen, dass es sich beim fraglichen Vorgehen, mit dem sich die Klägerin als Inkassovehikel gerichtlich für eine Vielzahl abgetretener ausservertraglicher Schadenersatzforderungen betätigt habe, auch nicht um eine vorbereitende oder unterstützende Nebenhandlung handle, die der Zweck mit sich bringen könne. Das Handelsgericht war daher zu Recht wegen fehlender Prozessfähigkeit auf die Klage nicht eingetreten.

Würdigung

Das Urteil des Bundesgerichts, das nicht in der amtlichen Sammlung publiziert wird, aber in der Rechtsprechungsrubrik auf der Webseite des Bundesgerichts abrufbar ist, ruft in Erinnerung, dass die Vertretungsmacht der Organe einer Stiftung nicht für sämtliche denkbaren Rechts­handlungen eine Selbstverständlichkeit ist, sondern jedenfalls in Grenzfällen einer näheren Prüfung anhand des Stiftungszwecks bedarf. Es ist eine Besonderheit des Stiftungsrechtes, dass der Stiftungszweck nach dem sog. Willensprinzip auszulegen ist; der (mutmassliche) Wille des Stifters bestimmt, wofür das gewidmete Stiftungskapital eingesetzt werden soll und welche Tätigkeiten noch unter den Stiftungszweck fallen. Anders als bei handelsrechtlichen Gesellschaften wird der Zweck nicht so weit ausgelegt, dass die Organe auch Geschäfte abschliessen dürften, die durch den Stiftungs­zweck nicht geradezu ausgeschlossen sind.

Zudem ist zu beachten, dass die Organe eine Überschreitung des Stiftungszwecks nicht mit dem Prinzip des Gutglaubensschutzes rechtfertigen können; dieses Prinzip schützt die gutgläubigen Dritten, nicht die Organe; diese können sich nicht darauf berufen, um ihre Handlungsfähigkeit nach Belieben auszuweiten.

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