Gesellschafterdarlehen in Notlagen der Gesellschaft

Leitentscheid des Bundesgerichts zu richterlichen Rangrücktritten und Eigenkapitalersetzenden Darlehen schafft Leitlinien für Notkredite

1. Einleitung

Gewähren Aktionäre und andere nahestehende Personen einer Gesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten Darlehen zur Überbrückung eines akuten Liquiditätsengpasses, stellt sich regelmässig die Frage, ob solche Notkredite im Falle einer gescheiterten Sanierung und eines anschliessenden Konkurses der Gesellschaft gegenüber Forderungen anderer Gläubiger nachrangig zu behandeln sind. In der kantonalen Rechtsprechung und Lehre wurde dies teilweise unter den Begriffen «eigenkapitalersetzendes Darlehen» sowie «richterlicher» oder «konkludenter Rangrücktritt» bejaht.

In einem aktuellen Leitentscheid (5A_440/2024 vom 31. März 2025) bestätigt das Bundesgericht, dass unbesicherte Darlehensforderungen von Nahestehenden im Schweizer Recht grundsätzlich wie unbesicherte Forderungen Dritter zu behandeln sind – nämlich (nach den gesetzlich privilegierten Gläubigern der ersten und zweiten Klasse) in der sogenannten dritten Klasse. Nur im Ausnahmefall eines offensichtlichen Rechtsmissbrauchs sind Forderungen nahestehender Personen gegenüber anderen Gläubigern nachrangig zu behandeln. Voraussetzung für einen solchen Missbrauch ist namentlich, dass die Gesellschaft im Zeitpunkt der Darlehensaufnahme bilanziell überschuldet war.

2. Sachverhalt

Im vorliegenden Fall gewährten Aktionäre und Verwaltungsräte der Bauunternehmung F. AG in den Jahren 2016 bis 2018 Darlehen, obwohl ihnen die prekäre finanzielle Lage der Gesellschaft bekannt war. Die F. AG wies in den Jahren 2011 bis 2017 durchgehend negative Betriebsergebnisse aus.

Gemäss dem Entscheid litt die F. AG unter erheblichen Liquiditätsproblemen, und «ab Ende 2016 war der Konkurs der Gesellschaft ein ernsthaftes Risiko». Dritte waren nicht mehr bereit, der Gesellschaft Darlehen zu gewähren. Eine bilanzielle Überschuldung war zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung jedoch nicht erstellt.

Im Juni 2015 übertrug die F. AG zudem Aktiven an die A. AG, die den Aktionären der F. AG nahestand. Am 30. April 2018 wurde der Konkurs über die F. AG eröffnet. Die betroffenen unbesicherten Darlehen wurden im Konkursverfahren als «rangrücktrittsbelastete Forderungen der dritten Klasse» kolloziert. Die Konkursverwaltung begründete dies unter anderem damit, dass die Darlehen rechtsmissbräuchlich gewährt worden seien, insbesondere zur künstlichen Verlängerung der Geschäftstätigkeit der F. AG und die dadurch bezweckte Verschiebung der Frist für eine Anfechtung im Zusammenhang mit der Vermögensübertragung an die A. AG (actio pauliana).

Die Vorinstanz bestätigte die Kollokation der Darlehen als nachrangige Forderungen der dritten Klasse.

3. Entscheid und Erwägungen

Das Bundesgericht hob den Entscheid der Vorinstanz auf und ordnete die Kollokation der Darlehen als Forderungen der dritten Klasse ohne Rangrücktritt gegenüber anderen unbesicherten Gläubigern an.

Im Schweizer Recht fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Umqualifizierung von Darlehen in Eigenkapital. Das Bundesgericht bekräftigte seine bisherige Rechtsprechung, wonach eine solche Umqualifizierung keine Rechtsgrundlage hat.

Erstmals äusserte sich das Bundesgericht jedoch konkret dazu, unter welchen Voraussetzungen die nachrangige Behandlung von Forderungen Nahestehender in Betracht kommt, und nannte folgende Ausnahmefälle:

  • Rechtsmissbrauch:
    Eine nachrangige Behandlung ist möglich, wenn die Geltendmachung der Forderung offensichtlich rechtsmissbräuchlich wäre (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Hierfür ist ein schutzwürdiges Vertrauen anderer Gläubiger erforderlich, das der Nahestehende durch die unbelastete Anmeldung der Forderung enttäuschte. Ein solches Vertrauen schafft einzig Art. 725 Abs. 2 aOR, wonach eine Gesellschaft bei bilanzieller Überschuldung den Geschäftsbetrieb nur fortführen darf, wenn im Umfang der Überschuldung vertragliche Rangrücktritte bestehen. Das Bundesgericht betrachtet daher die Überschuldung im Zeitpunkt der Darlehensaufnahme als objektive Voraussetzung für einen offensichtlichen Rechtsmissbrauch und stützte somit in diesem Punkt die Rechtsauffassung der Vorinstanz. Auf subjektive Voraussetzungen ging das Bundesgericht nicht ausdrücklich ein; aus dem Entscheid geht jedoch hervor, dass die Aktionäre die prekäre Lage kannten.
  • Ausdrücklicher, impliziter oder konkludenter Rangrücktritt:
    Eine nachrangige Behandlung ist zudem möglich, wenn dies vertraglich vereinbart wurde. Eine solche Vereinbarung kann sich ausdrücklich, implizit oder konkludent aus dem tatsächlichen oder mutmasslichen Willen des Nahestehenden und der Gesellschaft ergeben (Art. 18 Abs. 1 OR), was nach den Regeln der Vertragsauslegung zu bestimmen ist. Ohne ausdrückliche Vereinbarung ist jedoch regelmässig davon auszugehen, dass Nahestehende nicht den Willen haben, ihre Forderung zu subordinieren – wie auch im vorliegenden Fall.

Das Bundesgericht setzte sich zudem mit weiteren in der Lehre und kantonalen Praxis diskutierten Rechtsmissbrauchsvoraussetzungen auseinander und wies diese ausdrücklich zurück:

  • Kein Drittmannstest:
    Ob ein unabhängiger Dritter den Kredit zu denselben Bedingungen gewährt hätte, ist unerheblich.
  • Kein Sanierungstest:
    Ebenso irrelevant ist, ob das Darlehen zu einem Zeitpunkt gewährt wurde, in dem nur noch eine Kapitaleinlage sanierende Wirkung entfaltet hätte.
  • Keine Pflicht zu gleichzeitigen Sanierungsmassnahmen:
    Selbst wenn der Aktionär ein Darlehen an eine unterkapitalisierte Gesellschaft gewährt, ohne zugleich Sanierungsmassnahmen zu ergreifen, begründet dies alleine noch keinen offensichtlichen Rechtsmissbrauch.

Neben einem Rangrücktritt gestützt auf das Rechtsmissbrauchsverbot lehnte das Bundesgericht auch eine richterliche Lückenfüllung ab. Das Schweizer Recht ist insoweit nicht unvollständig, sondern der Gesetzgeber hat im Rahmen der Aktienrechtsrevision, die am 1. Januar 2023 in Kraft trat, bewusst auf eine gesetzliche Regelung von eigenkapitalersetzenden Darlehen oder anderen Formen der nachrangigen Behandlung von Forderungen Nahestehender verzichtet.

4. Praktische Konsequenzen für Sanierungen

Der Entscheid bringt für die Praxis eine willkommene Klärung, stellt jedoch auch hohe Anforderungen an die sorgfältige Planung und Dokumentation von Sanierungsmassnahmen:

  • Rechts- und Planungssicherheit:
    Aktionäre und nahestehende Investoren können künftig mit grösserer Sicherheit davon ausgehen, dass ihre Darlehen im Konkursfall grundsätzlich gleichrangig mit anderen Forderungen der dritten Klasse behandelt werden. Das Risiko einer automatischen nachrangigen Behandlung ist unseres Erachtens aufgrund dieses Entscheids gering.
  • Bedeutung der Überschuldungsprüfung:
    Entscheidend bleibt die sorgfältige Prüfung der bilanziellen Überschuldung im Zeitpunkt der Darlehensgewährung. Liegt keine Überschuldung vor, dürfte ein späterer Vorwurf des Rechtsmissbrauchs schwer durchsetzbar sein.
  • Dokumentation von Darlehen:
    Es ist zu empfehlen, Darlehensverträge klar zu dokumentieren und explizit festzuhalten, dass kein Rangrücktritt beabsichtigt ist. Ein konkludenter Rangrücktritt kann so wirksam ausgeschlossen werden.

5. Anforderungen an künftige Sanierungen durch Nahestehende

Der Entscheid verdeutlicht, unter welchen Rahmenbedingungen Nahestehende weiterhin risikominimiert zur Sanierung beitragen können:

  • Liquiditätsplanung und Sanierungsmassnahmen:
    Der Verwaltungsrat sollte die Liquiditätslage laufend überwachen (Art. 725 OR). Darlehen können als temporäre Überbrückungsmassnahmen eingesetzt werden, sollten aber von nachhaltigen Sanierungsplänen begleitet werden.
  • Frühzeitige Kommunikation mit Gläubigern:
    Ein offener Dialog mit wesentlichen Gläubigern kann helfen, Vertrauen zu schaffen und potenzielle Rechtsmissbrauchsvorwürfe zu vermeiden.
  • Kombination von Massnahmen:
    Ungeachtet dieses Entscheids sollten Darlehen, wenn möglich, mit weiteren Sanierungsbeiträgen wie Kapitalerhöhungen, Forderungsverzichten oder ausdrücklichen Rangrücktritten kombiniert werden, um die Erfolgsaussichten einer nachhaltigen Sanierung zu erhöhen.

6. Schlussfolgerungen und Ausblick

Nach dem Leitentscheid ist eine nachrangige Behandlung von Notkrediten nahestehender Personen nur in Ausnahmefällen angezeigt. Für künftige Sanierungen bedeutet dies mehr Rechtssicherheit, verlangt aber auch eine sorgfältige Dokumentation, klare vertragliche Regelungen und eine fundierte finanzielle Analyse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Darlehensgewährung.

Der Entscheid stärkt damit den Handlungsspielraum für Aktionäre und Investoren, setzt aber auch klare Leitplanken.

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